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Interview

Gestalten wir den vielfältigen europäischen Kulturmarkt!

Jürgen Preiß, Herausgeber des Magazins Theatermanagement aktuell mit Hans-Conrad Walter im Interview

tma: Herr Walter, am 7. und 8. November laden Sie Teilnehmer*innen aus ganz Europa ein, beim 11. KulturInvest!-Kongresses Zukunftsvisionen für den europäischen Kulturmarkt zu entwickeln. Das europäische Staatengefüge zwischen Zypern und Schottland und von Portugal bis Estland ist von einer großen kulturellen Vielfalt geprägt. Was verstehen Sie, insbesondere auch vor dem Hintergrund zunehmender nationalstaatlicher Tendenzen, unter dem Begriff „europäischer Kulturmarkt“?

Hans-Conrad Walter: Die Werte, die Europa prägen sind so widersprüchlich wie nirgendwo anders auf der Welt, von Aristoteles bis Abba, von Shakespeare bis zu den Sex Pistols, alle haben uns geprägt und sind der Humus unserer weltoffenen, toleranten europäischen Kultur. Um unsere europäische Kultur lebendig zu halten, sollten wir den nationalstaatlichen Ordnungsgedanken überwinden und lieber die Regionen stärken, denn allein sie sind natürlich gewachsene Kulturlandschaften. Unsere europäische und damit auch die regionale Kultur wird in den Regionen und Städten Europas lebendig und in deren zahlreichen Museen, Theatern und Festivals erlebbar. Diese öffentlichen und privatwirtschaftlichen Kulturanbieter generieren mit ihren Angeboten eine Nachfrage, das ist die Grundlage eines postnationalen, europäischen Kulturmarktes der für alle zugänglich ist. Die Anbieter und Dienstleister bringen wir mit dieser Haltung innerhalb des 11. KulturInvest-Kongresses zusammen und zeigen die neuesten Trends in 12 Themenforen im europäischen Kulturmarkt auf.

tma: Was sind für Sie die drei größten Trends in diesem europäischen Kulturmarkt?

Hans-Conrad Walter: Aus ökonomischer Sicht ist der größte Trend eindeutig der rasant wachsende Kulturtourismus und die damit verbundenen Städtereisen. Venedig wird von Kulturtouristen seit einigen Jahren überrannt, so dass Tagestouristen in diesem Jahr erstmalig Eintritt bezahlen müssen. Die Inszenierung des einzigartigen Lebensgefühls, Geschichte, Architektur, Museen und die Biennale haben dazu beigetragen. Denkt man dabei an die letzten verbliebenen venezianischen Einwohner, sind wir schnell beim zweiten Trend, der notweindigen Teilhabe und Mitbestimmung der Bevölkerung an Stadtentwicklungsprozessen und der Sehnsucht nach gemeinschaftlichen Wir-Erlebnissen, die sicher auch von dem dritten Trend, der Digitalisierung im Kulturmarkt verstärkt wird.

tma: Welche Impulse kann Ihrer Meinung nach, die Wirtschaft durch Investitionen in den Kulturmarkt für die Zukunftsfähigkeit des Standortes Europa beisteuern?

Hans-Conrad Walter: Wirtschaftsunternehmen haben langsam erkannt, dass die Lebensqualität eines Standortes und einer Region wesentlich durch Kultur geprägt wird. Für junge, potenzielle Mitarbeiter eines Unternehmens ist das Kulturangebot am Standort ein wesentliches Kriterium. Sie haben aber auch erkannt, dass Kreativität nicht nur eine künstlerische Ausdrucksform ist, die gesellschaftliche Auseinandersetzung fördert, sondern auch Grundlage ökonomischer Erfolge, von denen sie profitieren können. Unternehmen können also wesentliche Impulse für ein tolerantes, kosmopolitisches Miteinander in Europa durch die Förderung von Kreativität, Kunst und Kultur setzen. Auf dem 11. KulturInvest!-Kongress bringen wir unter anderem Wirtschaftsunternehmen, Kulturanbieter und Kreative miteinander ins Gespräch und zeigen erfolgreiche Formen der Zusammenarbeit auf, von denen die Gesellschaft profitiert. 

tma: Was können und müssen die Akteure im Kulturmarkt Ihrer Ansicht nach selbst leisten, um im internationalen Transformationsprozess nicht den Anschluss zu verpassen?

Hans-Conrad Walter: Sie sollten sich noch stärker als politische Akteure und Impulsgeber verstehen. Sich als Anbieter nicht nur einem Erfolg auf dem europäischen Kulturmarkt verpflichtet fühlen, sondern auch als mutige Avantgarde Haltung zeigen, Neues wagen, experimentieren, provozieren und damit die Zukunftsdebatte für ein weltoffenes Europa mitgestalten. Besonders gefallen hat mir im letzten Jahr das Projekt „European Balcony Project“, in dem auf den Balkonen von 120 Kultureinrichtungen von Tallin bis Porto am 10. November die Europäische Republik ausgerufen wurde, initiiert von Ulrike Guérot, die in diesem Jahr auch den 11. KulturInvest!-Kongress eröffnen wird. Natürlich ist die Digitalisierung dabei ein wichtiges, kommunikatives und funktionales Instrument, doch reale Kultur findet eben nicht im Internet statt. Sie findet auch nicht mehr nur in den gewohnten Elfenbeintürmen bürgerlicher Kulturvermittlung statt, sondern an weit aus charismatischeren Orten, wie zum Beispiel im unbestechlichen Industriecharme der schönsten Zeche der Welt, heute Unesco-Welterbe.

tma: Standort ist die Zeche Zollverein in Essen. Wie passt dieses Wahrzeichen einer vergangenen Industrieepoche, die in einer globalisierten Welt auch für nachlassende Wettbewerbsfähigkeit steht, zu dem zukunftsgerichteten Motto des Kongresses?

Hans-Conrad Walter: Die Frage habe ich mir auch vor einem Jahr gestellt und schnell interessante Zusammenhänge gefunden. Die Historie des Steinkohlebergbaus als Treibstoff für unseren Wohlstand und die Gründung der Montan-Union als Grundlage für ein modernes, geeinigtes Europa, sowie der Transformationsprozess der Industriegesellschaft zur kreativen Dienstleistungsgesellschaft haben uns zu dem diesjährigen Motto „Aufbruch nach Europa! Transform the Culture“ motiviert. Mit dem Abschied von der Kohle und der Schließung der letzten Zeche Prosper Haniel im Jahr 2018 endete das Zeitalter der Kohle und ein bedeutender Abschnitt europäischer Geschichte. Den bereits vor 10 Jahren durch die Europäische Kulturhauptstadt RUHR.2010 eingeleiteten Strukturwandel wollen wir mit Europas größtem Kulturkongress und der Preisverleihung der Europäischen Kulturmarken-Awards im Jahr 2019 auf Zollverein fortsetzen, damit Ideen für die kreative Dienstleistungsmetrople Ruhr zu Tage fördern und eine Vernetzung ihrer Akteure im europäischen Kulturmarkt gewährleisten.

tma: Herzlichen Dank für das Interview, Herr Walter!

Das Interview erschien in der Ausgabe 1 /2019 von theatermanagement-aktuell.