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Dr. Manja Schüle, Ministerin für Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Brandenburg und Schirmherrin des 12. KulturInvest!-Kongresses

Interview

Produktivkraft Kultur - Die Kunst des richtigen Schenkens

Dr. Manja Schüle ist eine deutsche Politikerin und war direkt gewähltes Mitglied im Deutschen Bundestag. Seit 20. November 2019 ist sie Ministerin für Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Brandenburg. Causales hat die Schirmherrin des 12. KulturInvest! Kongresses in der Landeshauptstadt getroffen und mit ihr über die Systemrelevanz von Kultur, die Förderung von Kunst in Brandenburg sowie ihre Visionen für den Kreativstandort Potsdam gesprochen.


Causales: Frau Dr. Schüle, Sie sind ein ausgesprochener Brandenburg- und Potsdam-Fan. Was ist für Sie das Besondere an diesem Kunst- und Kreativstandort?

Dr. Manja Schüle: Im Vergleich zu den gängigen Hotspots in Europa wie London, Berlin oder Barcelona mögen Potsdam und das Flächenland Brandenburg vielleicht marginal erscheinen. Aber wer genau hinsieht, entdeckt hier schnell die Potenziale für eine zukunftsfähige und nachhaltige Kreativlandschaft. Potsdam hat eben nicht nur eine weltberühmte Historie und eine ebenso berühmte Schlösser- und Parklandschaft, sondern auch die höchste Wissenschaftsdichte pro Einwohner mit seinen mehr als 70 Hochschul-, Wissenschafts- und Forschungseinrichtungen. Hier finden sich aufsehenerregende Kunststätten, wie das Museum Barberini oder die Filmstudios in Babelsberg, ebenso wie eine quicklebendige, junge Kreativszene zwischen dem Kulturquartier Schiffbauergasse und dem Rechenzentrum, in dem Hunderte Künstler*innen und Startups an den Ideen von morgen basteln. Beste Voraussetzungen für immer neue Unternehmensansiedlungen der Kreativbranche.

Und was Brandenburg betrifft, über das nicht nur Reinald Grebe sich gern mal mokiert: Brandenburg wird derzeit geflutet von jungen, unternehmungslustigen Menschen aus Berlin und anderen Ballungszentren, die hier ideale Arbeitsbedingungen finden und neue Lebensmodelle ausprobieren, die in dieser Vielfalt und Größe in Europa nicht überall zu finden sind.  Ruhe, Natur und Kultur, die Erfahrungen der Märker*innen kombiniert mit dem Innovationspotenzial der Zuzügler – das ergibt schon eine enorme Kraft für zeitgemäßes digitales und ökologisches Wirtschaften. Auch wenn die meisten Pflänzchen noch klein sind und strukturell noch nicht überall die besten Bedingungen herrschen, so ist dieses kreative Neuland im Grünen doch ein vielversprechendes Stück Zukunft für Brandenburg und durchaus ein Modell für andere Regionen im Windschatten großer Metropolen.

Causales: Sie engagieren sich auf unterschiedliche Weise für die Künste. Für Sie geht es überwiegend um die Sicherung der Infrastruktur und kulturellen Teilhabe sowie des Kulturerbes im Land Brandenburg. Was treibt Sie dabei an, was ist Ihre Vision für die hiesige Kulturlandschaft?

Dr. Manja Schüle: In diesen schwierigen Zeiten, auch mit Blick auf Corona und ihre Folgen, geht es mir natürlich zuerst um die Sicherung und Verstetigung der vitalen brandenburgischen Kulturlandschaft, die für möglichst viele, auch für die sozial Schwächeren, zugänglich sein und nachhaltig wirken soll. Kultur muss für alle zugänglich sein und bleiben. Auch in Krisenzeiten.

Das wird schwierig genug, wenn man nur an die Finanzierung in den kommenden Jahren denkt, wo die öffentliche Hand mit erheblichen Steuereinbußen und demzufolge mit schwindenden Fördermöglichkeiten für Kultur zu kämpfen hat. Meine Vision ist es daher, die Kultur in Brandenburg über die Bestands- und Perspektivsicherung hinaus fit für die Zukunft zu machen und Krisen, wie die Corona-Krise, auch als Chance zu begreifen, sich neu aufzustellen, sowie neue Formate und Angebote zu entwickeln. Ich denke da vor allem an die digitale Welt, an neue Formen der Vernetzung, der Kunst-Produktion und der Vermarktung oder an die Entwicklung zukunftsfähiger Geschäftsmodelle im Kulturbereich.

Und ich träume davon, dass die Kultur, die in den meisten öffentlichen Haushalten ja eine freiwillige Aufgabe ist, vom „nice to have“ zum „proud to have“ wird. Dass sich von der Bildungs- über die Städtebau- bis zur Wirtschaftsförderung der Gedanke weiter durchsetzt, dass Kunst und Kultur tatsächlich echte Produktivkräfte sind und deren Förderung weniger eine Subvention als eine Investition in die Zukunft ist. Sowohl für unser soziales Gemeinwesen, als auch für die Wertschöpfung. Denn Kunst und Kultur produzieren ja nicht einfach nur schöne Dinge –  sie stehen zugleich für die elementarsten Überlebenskriterien in einer sich global und digital verändernden Welt: Für Bildung und Motivation, Kreativität und Flexibilität, Experimentier- und Risikofreude, Improvisation und freches Querdenken. Dieses Potenzial nicht zu nutzen und nicht zu fördern und in die Ecke der „freiwilligen Aufgaben“ zu stellen, sehe ich fast als fahrlässig an. Soll heißen: Kultur ist längst ein systemrelevanter Faktor in unserer Gesellschaft und ein absoluter Schlüssel für die Bewältigung der Herausforderungen von Morgen.

Causales: Wieso bedarf es aus Ihrer Sicht eines verstärkten Engagements für Kunst und Kultur gerade in Strukturwandelprozessen und Krisenzeiten?

Dr. Manja Schüle: Krisen und fundamentale Wandelprozesse produzieren oft Unsicherheiten, ja, Zukunftsängste bei den Menschen. Das erleben wir jetzt besonders hart in der Lausitz, wo der bevorstehende Ausstieg aus der Braunkohle bis 2038 natürlich jede Menge Zweifel und Sorgen schürt. Hier können Kunst und Kultur zum einen als Seismografen und „Bühnen“ dieser Umwälzungen wirken. Gewissermaßen als „sozialer Kitt“, der Stimmungen auffängt, Ventile bietet, Orientierungsangebote und Diskussionsforen eröffnet. Und zwar in jenen zwischenmenschlichen Bereichen, in denen die Politik, die Medien und klassische Krisenmanager an ihre Grenzen stoßen. Sie können den Menschen – neben Aufklärung und Inspiration – vor allem Zuversicht geben und neue Diskursräume öffnen.

Zum anderen können Kunst und Kultur diese Transformationsprozesse nicht nur reflektieren, sondern auch direkt bereichern. Etwa im Sinne eines Kreativpools für die verschiedensten gesellschaftlichen Bereiche. Von A – wie Arbeitsplatzgenerator, bis Z – wie Zukunftswerkstatt. Ob als Ideengeber, Katalysatoren oder als Vermittler zwischen den Welten. Und als Kultur- oder Kreativunternehmen, natürlich auch als neue Arbeitgeber, Steuerzahler, Netzwerker und Image-Träger. Sicher, nicht jeder Kohlekumpel kann auf Kunst und Kultur umschulen. Aber sich von ihr inspirieren und Mut machen zu lassen, das kann doch ein Anfang in diesen komplexen Wandlungsprozessen sein.

Causales: Sie müssen als Ministerin den Spagat meistern zwischen der Förderung von Angeboten der Hochkultur und Angeboten der freien Szene, der kulturellen Bildung oder der Bibliotheken im Land Brandenburg. Wie gelingt dieser Balanceakt in der Kulturförderung?

Dr. Manja Schüle: Schwierige Frage, wenn einem beides wichtig ist, wie mir. Und wenn die Spielräume immer enger werden für eine auskömmliche Finanzierung. Also kann die Devise nur lauten: Grundlagen sichern und Schwerpunkte setzen! Neben einer gerechten und solidarischen Basisfinanzierung unserer Kulturlandschaft müssen wir sehen, welche Leuchttürme für das Image und die Infrastruktur des Landes bedeutsam sind und diese als Ankerpunkte entwickeln, um die dann wiederum viele kleine Kultur-Satelliten kreisen. Vor allem in den ländlichen Räumen.

Im Moment jedoch, wo die Kulturschaffenden buchstäblich um ihre Existenz kämpfen, ist es mir wichtig, schnelle und praktische Überlebenshilfen zu entwickeln. Sowohl für die großen Tanker als auch für die unzähligen Beiboote der Kultur, die sich nur mit Mühe über Wasser halten können. So haben wir relativ schnell nach dem Lockdown Ersatz gewährt für die Einnahmeausfälle bei den institutionell geförderten Einrichtungen und parallel dazu ein Stipendienprogramm entwickelt, damit freischaffende Künstler*innen weiter an neuen Ideen und Projekten arbeiten können. Und wir haben für alle ziemlich schnell die Plattform Kultur-bb.digital eingerichtet – mit Veranstaltungstipps und Streaming-Angeboten, so dass die Szene aktuell sichtbar ist und wenigstens ein paar kleine Einnahmen generieren kann. Hier sehen wir auch nach Corona ein starkes Entwicklungspotenzial für die Präsentation brandenburgischer Kunst und Kultur.  

Causales: Öffentliche und private Förderung von Kunst und Kultur gehen oft getrennte Wege. Wo sehen Sie gemeinsame Potenziale?

Dr. Manja Schüle: An jeder Ecke, wenn Sie so wollen. Denn wir müssen Partner für die Kultur verstärkt auch außerhalb der Kultur suchen, mit denen wir gemeinsam neue Angebote entwickeln und damit Arbeitsplätze und neue Einnahmequellen sichern. Sei es für Kunst- und Kulturprojekte oder im Tourismus, in der Kreativwirtschaft, in den Branchen der Medien- und Digital-Industrie oder im Handel und Dienstleistungsgewerbe. Und da rede ich nicht nur von weiteren potenziellen Sponsoren, deren Herz für die Kultur erobert werden soll – sondern auch von Partnerschaften auf Augenhöhe und Win-Win-Projekten. Denn die Wirtschaft soll der Kultur nicht immer nur etwas schenken, sie soll die Kreativität von Kunst und Kultur im besten Sinne „nutzen“ und von ihr „profitieren“ – zum Beispiel für ihre Kreativabteilungen, ihre Betriebsstrukturen, für Produktentwicklung und Design oder für das Marketing und neue Absatzmärkte. Kultur ist schließlich kein Sahnehäubchen, sondern Lebenselixier für unsere gesamte Gesellschaft.

Causales: Herzlichen Dank für das Gespräch!