Für strukturschwache Regionen bietet die Bewerbung des touristischen Potentials neue Möglichkeiten der wirtschaftlichen
Belebung. Doch was sind die wesentlichen Voraussetzungen, um die touristische Nutzung von Regionen und Kulturgütern auch tatsächlich so auszugestalten, dass sie wirtschaftliche Belebung nach sich zieht?
Prof. Dr. Andrea Hausmann leitet an der Europa Universität Viadrina in Frankfurt (Oder) den Masterstudiengang Kulturmanagement und Kulturtourismus und ist Expertin für Kulturmarketing.
Lorenz Pöllmann von der Agentur Causales hat die Marketingstrategin in Frankfurt (Oder) getroffen.
Pöllmann: Sehr geehrte Frau Prof. Dr. Hausmann, 2010 wird Essen für ein Jahr lang offiziell Kulturhauptstadt Europas sein. Erlebt das Ruhrgebiet damit jetzt den großen Imagewandel von der ausgedienten Kohleregion zur Kulturregion?
Hausmann: Das Ruhrgebiet ist ja schon seit Jahren und mit vielen guten Projekten auf dem Weg, diesen notwendig gewordenen Wandel zu vollziehen. Natürlich ist die Kulturhauptstadt 2010 jetzt noch mal eine tolle Chance, das Ruhrgebiet als kulturell und touristisch attraktive Destination noch stärker in den Fokus der nationalen und internationalen Aufmerksamkeit zu rücken und eindeutig zu positionieren. Besonders schön ist ja, dass von der Marke „Kulturhauptstadt“ im Jahr 2010 und auch in der Zeit bis dahin nicht nur eine Stadt, sondern eine ganze Region mit über 50 Städten und einem bunten Strauß kultureller Veranstaltungen profitieren wird. „Metropole Ruhr“, das ist ja schon Pfund, mit dem man wuchern kann.
Pöllmann: Mit der Wahl zur Kulturhauptstadt wurde gleichzeitig eine immense Marketingkampagne gestartet und es ist zu erwarten, dass das Ruhrgebiet, wie an Weimar gesehen wurde, langfristig als Region mit besonderer Attraktivität für Touristen in Erinnerung bleibt. Inwiefern ergeben sich hier aus Ihrer Sicht Möglichkeiten für andere Regionen?
Hausmann: Die Ruhr.2010 GmbH mit dem erfahrenen Oliver Scheytt in der Geschäftsführung entfaltet derzeit eine ungeheure Marketingpower, deshalb ist die Wortmarke Ruhr.2010 und auch das Logo bereits vielen vertraut. Hier stimmen aber eben auch die Rahmenbedingungen, das heißt es ist zum einen ein attraktives Angebot vorhanden, das sich auch gut vermarkten lässt, und zum anderen steht ein versiertes Team hinter der Kampagne – zudem ist auch das nötige „Kleingeld“ vorhanden, um entsprechende Strategien zu entwickeln und Maßnahmen einzuleiten. Hier muss man einfach realistisch sein und sehen, dass viele andere Regionen ein solches Marketingfeuerwerk aufgrund der knappen personellen und finanziellen Ressourcen nicht entzünden können. Aber dennoch – man kann versuchen, Anregungen mitzunehmen und das eine oder andere Projekt eine Nummer kleiner umzusetzen. Nehmen wir das Beispiel Markenpolitik: Viele Regionen verfügen noch immer nicht über ein wieder erkennbares Logo oder verwenden Wort- oder Bildmarken im Zuge ihrer zahlreichen Außenauftritte sehr uneinheitlich und verwässern damit ihre Markenpositionierung.
Pöllmann: Sie engagieren sich zurzeit in Frankfurt (Oder) und erarbeiten gemeinsam mit der Stadt ein Marketingkonzept, welches die Stadt besser positionieren soll. Was muss eine Stadt bzw. eine Region mitbringen um hier aus der Sicht einer Marketingstrategin ansetzen zu können?
Hausmann: An dem Projekt in Frankfurt (Oder) ist besonders positiv herauszustellen, dass hier wirklich alle an einem Strang ziehen. Zwei wichtige Akteure der Stadt, die Universität und das Investor Center, haben sich gemeinsam mit der Stadtpolitik zusammengeschlossen mit dem Ziel, die Zukunft der Stadt ins Visier zu nehmen. Aber das wollten wir nicht alleine tun, sondern wir haben von Anfang großen Wert darauf gelegt, weitere wichtige Akteure mit ihren Ideen, Sorgen und Vorschlägen mit ins Boot zu holen. Zudem haben wir uns von Anfang an vorgenommen, möglichst maßnahmenorientiert zu arbeiten. Das heißt konkret, wir wollen kein Papier für die Schublade entwickeln, sondern durch die enge Verzahnung mit den relevanten Akteuren es so hinbekommen, dass konkrete und umsetzbare Ideen vorliegen und auch hinterher möglichst viele Akteure Lust haben, an der Zukunft der Stadt engagiert mitzuwirken.
Pöllmann: Können Sie am Beispiel Frankfurt (Oder) etwaige Maßnehmen nennen?
Hausmann: Es ist noch etwas früh, um konkrete Maßnahmen zu benennen, denn wir haben das Projekt gerade erst auf die Schiene gesetzt. Aber ich kann schon mal ein Thema anreißen, das auf jeden Fall eine Rolle in der Umsetzung spielen wird. So ist Frankfurt (Oder) eine Stadt, die sich in besonderem Maße mit den Konsequenzen des demographischen Wandels beschäftigen muss. Viele junge Menschen haben die Stadt in den letzten Jahren verlassen, der Anteil der älteren Menschen wächst stetig. Hier wollen wir uns überlegen, welche Maßnahmen greifen könnten, um zum einen die jüngeren Menschen stärker an die Stadt zu binden und gleichzeitig die ältere Bevölkerung als aktive Akteure in die Stadtentwicklung mit einzubeziehen. Mitten in diesen Überlegungen kommt uns zupass, dass wir uns seit geraumer Zeit über eine für die Stadt besonders schöne Entwicklung freuen können: Es siedeln sich wieder neue Unternehmen an, Frankfurt (Oder) entwickelt sich zur Solarhauptstadt. Auch hier liegt viel Potenzial, um künftig erfolgreiches Stadtmarketing und konkrete Markenpolitik zu betreiben.
Pöllmann: Insbesondere für strukturschwache Regionen bietet die Bewerbung des touristischen Potentials neuen Möglichkeiten der wirtschaftlichen Belebung. Wie schätzen Sie die touristische Entwicklung in diesen Regionen ein?
Hausmann: Grundsätzlich muss jede Region zunächst prüfen, welche Angebote sind bereits vorhanden und können kulturtouristisch sinnvoll „gebündelt“ werden, denn eine Besonderheit des Kulturtouristen ist es ja, dass er während seines Aufenthalts in der Regel mehrere kulturelle Angebote wahrnehmen möchte. Wichtig ist es auch, die Kooperationspartner, die ja nicht nur aus dem Kulturbereich, sondern auch aus der Privatwirtschaft kommen werden, regelmäßig an einen Tisch zu holen, damit die vielen unterschiedlichen Ziele unter dem übergeordneten Ziel der kulturtouristischen Markterschließung möglichst in Einklang miteinander gebracht werden. Das sind also erst mal die wesentlichen Voraussetzungen, um die touristische Nutzung von Regionen und Kulturgütern auch tatsächlich so auszugestalten, dass sie wirtschaftliche Belebung nach sich zieht. Positiv wirkt sich insgesamt aus, dass der seit geraumer Zeit zu verzeichnende Aufschwung auch weiter anhält. Es lohnt sich also, über die Erschließung dieses Marktes auch künftig noch nachzudenken und entsprechende Maßnahmen einzuleiten.
Pöllmann: Stichwort „demographischer Wandel“ – Sie behandeln entsprechende Zukunftsperspektiven auch an Ihrem Lehrstuhl.
Hausmann: Ja, das Thema des demographischen Wandels wird im Kulturbereich derzeit zwar noch ein bisschen stiefmütterlich behandelt, wenn man sich dazu im Vergleich mal die vielen vorliegenden Studien aus anderen Wirtschaftsbereichen anschaut, aber auch hier passiert jetzt was. Dass die Bevölkerung älter, bunter und weniger wird, betrifft ja auch ganz unmittelbar die Kultureinrichtungen, die sich überlegen müssen, mit welchen Inhalten und mit welchem Marketing der Besucher der Zukunft gewonnen und gehalten werden kann. Weil wir das Thema so wichtig für den Kulturbereich finden, werden wir im November hier an der Viadrina ein Symposium zu den Auswirkungen des demographischen Wandels ausrichten. Wir wollen mit renommierten Experten aus Politik und Kulturpraxis darüber diskutieren, was Institutionen machen müssen um für die kommenden Jahre gut aufgestellt zu sein. Im Übrigen halte ich es auch für wichtig, dass sich die künftigen Kulturmanager bereits im Rahmen ihrer Ausbildung mit solchen aktuellen Themen auseinandersetzen. An der Viadrina und in unserem Studiengang „Kulturmanagement und Kulturtourismus“ wird daher entsprechend großer Wert darauf gelegt, auch Platz für solche Themen zu schaffen, die noch nicht Eingang in die Standardwerke des Kulturmanagement gefunden haben.
Pöllmann: Welche Rolle spielt hierbei das Kulturmarketing?
Hausmann: Das Kulturmarketing kann mit seinem strategischen Ansatz dabei helfen, Kulturbetriebe für das künftige Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage gut zu rüsten. Mit dem Einsatz der bewährten Analysetechniken können wir für eine jeweilige Institution untersuchen, ob und in welchem Umfang sich der demographische Wandel auswirken wird. Denn es ist schon jetzt klar, dass die Institutionen nicht in gleicher Weise von den Auswirkungen betroffen sein werden; das muss also für jede Einrichtung individuell bestimmt werden. Erst wenn hier eine fundierte Informationsgrundlage vorliegt, können die für den individuellen Kulturbetrieb richtigen Marketinginstrumente ausgesucht und eingesetzt werden. Marketing sollte also nicht „aus dem Bauch heraus“ ergriffen werden, sondern setzt immer auch einen strategischen, langfristig orientierten Ansatz voraus. Die Fragen „Wo wollen wir in den nächsten Jahren hin? Wen wollen wir erreichen? Welche Angebote wollen wir entwickeln?“ müssen beantwortet werden, sonst bleibt der Erfolg von Marketing zufällig.
Pöllmann: Vielen Dank für das Gespräch.