von Claus Temps, Dr. Susanne Asche und Claudia Lahn
„Take your Rights! Nimm dir dein Recht!“: Mit dieser Forderung warben Jugendliche in Karlsruhe für ein Projekt im Rahmen der 24. Europäischen Kulturtage 2018, kurz: EKT:2018. In einem Trailer, gefilmt auf dem Karlsruher „Platz der Grundrechte“, formulierten sie selbstbewusst ihren grundrechtlichen Anspruch auf Menschenwürde und Freiheit der Person, auf Meinungs- und Pressefreiheit, auf Gleichbehandlung, Religionsfreiheit, Versammlungsfreiheit und Freiheit der Berufswahl. Im weiteren Verlauf des Projekts setzten sich junge Teams aus Einrichtungen des Stadtjugendausschusses mit einem selbst gewählten Menschenrecht auseinander. Sie taten dies in Musik und Film, in Gespräch und Interview, mit Akrobatik, Rap und anderen Ausdrucksformen und kamen darüber auch ins Gespräch mit Richterinnen und Richtern des Bundesverfassungsgerichts. Am Schluss standen ein Film (www.takeyourrights.com) und eine große öffentliche Abschlussperformance, in der sich alle Beteiligten präsentierten. „Baustelle Zukunft: Take your Rights“ war dieses Vermittlungsprogramm der EKT:2018 überschrieben. Es war wesentlicher Bestandteil des Festivals, das unter dem Motto „Umbrüche, Aufbrüche: Gleiche Rechte für alle“ stand.
Umbrüche, Aufbrüche: Gleiche Rechte für alle
Kein leichtes Thema für das größte Kulturfestival Karlsruhes. Und doch ein Thema, das über 16 Tage, vom 20. April bis zum 5. Mai 2018, die gesamte Kulturszene Karlsruhes in Atem hielt. Es wurde trotz aller inhaltlichen Komplexität ein Fest der Kultur und der Stadtgesellschaft. Das Badische Landesmuseum machte am Eröffnungstag den Auftakt. Es hatte seine Präsenzausstellung entrümpelt; 100 Jahre nach Ende von Krieg und Monarchie zog die Revolution ins Schloss ein. „Revolution für Anfänger*innen“ lautete der Titel einer entdeckungsreichen Schau, die die Reflexion über das eigene revolutionäre Potenzial einschloss und vor einer roten Fahne auf dem Schlossturm nicht zurückschreckte.
Über den Rechtsstaat sprechen
Im zentralen Eröffnungsakt des Festivals im Bürgersaal des Karlsruher Rathauses kommentierte Bundesverfassungsrichterin Prof. Dr. Susanne Baer das Programm leidenschaftlich auffordernd mit den Worten: „Diese Europäischen Kulturtage präsentieren den Rechtsstaat nicht, sondern legen … den Bürgerinnen und Bürgern das Recht in die eigenen Hände. Gleiche Rechte für alle – das ist hier nicht Präsentation und noch eine Dosis politische Bildung oder gar Belehrung. In Karlsruhe ist das Einladung zum Gespräch, auch zur Kontroverse… Gleiche Rechte für alle – in der besonderen Karlsruher Variante heißt das: Das ist Ihr Ding!“ Zu „ihrem Ding“ hatte ein Ensemble aus 18 Karlsruherinnen unterschiedlicher sozialer und kultureller Herkunft, unterschiedlicher Körperlichkeiten und Sprachen die Frage der Gleichberechtigung in der Volkstheaterproduktion „Radikale Akte“ des Badischen Staatstheaters gemacht. Sie verbanden historische Ereignisse, die in Karlsruhe stattgefunden und zur Gleichberechtigung beigetragen haben, mit ihren eigenen gesellschaftlichen Erfahrungen als Mädchen und Frauen, entwickelten daraus ein Stück und brachten es zur Festivaleröffnung auf die Bühne des Staatstheaters.
Partizipation wird groß geschrieben
Diese drei Veranstaltungen des Eröffnungstages im Landesmuseum, im Rathaus und im Staatstheater stehen exemplarisch für die Europäischen Kulturtage Karlsruhe als ein Kulturfestival, das seit 1983 – zunächst jährlich, ab 1994 alle zwei Jahre – stattfindet und von Anfang an den Blick auf Europa als Ort der Visionen wie der konkreten Lebensverhältnisse, als Ort der Kultur wie der Kulturen richtet. Veranstaltet wird das Festival gemeinsam vom Kulturamt der Stadt Karlsruhe und dem Badischen Staatstheater. Dr. Susanne Asche als Leiterin des Kulturamtes und Peter Spuhler als Generalintendant des Staatstheaters sind die Köpfe und Gesichter des Festivals, politisch getragen von einem gemeinderätlichen Kuratorium und unterstützt von einem kleinen Stab an Mitdenkenden und Mitarbeitenden. Hier wird das jeweilige Thema entwickelt und gesetzt. Immer geht es um gesellschaftliche und gesellschaftspolitische Fragen mit Blick auf Europa, die mit Mitteln von Kunst und Kultur in der Stadt verhandelt werden. Waren in diesem Jahr runde Jahreszahlen Aufhänger für die Thematisierung historischer Umbrüche und Aufbrüche, verbunden mit der Frage nach gleichen Rechten für alle, insbesondere nach Geschlechtergerechtigkeit, so ging es – aus gegebenen europäischen Anlässen - im Jahr 2014 um „2014 – 1914 / Frieden + Krieg“ und 2016 um „Wanderungen – Glück | Leid | Fremdheit“. Die eigentlichen Akteure der Europäischen Kulturtage sind die Karlsruher Kultureinrichtungen und Kunstschaffenden. Sie werden eingeladen, jeweils mit eigenen und eigenverantworteten themenbezogenen Programmen zum Festival beizutragen und es inhaltlich im Sinne der kulturellen Vielfalt Europas mitzugestalten. Interesse und Bereitschaft zur Mitwirkung sind riesig und ziehen sich durch alle Sparten. An den EKT:2018 waren 37 Partner beteiligt, unter ihnen auch das Stadtmuseum mit der Ausstellung „Bewegt euch! 1968 und die Folgen in Karlsruhe“.
Mit mehr als 80 Veranstaltungen – Ausstellungen und Performances, Schauspiel und Musiktheater, Film, Führungen, Konzerte, Literatur, Symposien, Vorträge und Diskussionen bis hin zu öffentlichen Paraden und Umzügen – trugen sie zu einem Festival-Stadtgespräch bei, das gesellschaftliche Aufbrüche der europäischen Geschichte ebenso diskutierte wie neue Wege der Künste, Gefährdungen der Gegenwart in Europa ebenso aufzeigte wie mögliche Zukunftsszenarien.
Die Europäischen Kulturtage Karlsruhe sind damit ein auf Europa gerichtetes gesellschaftspolitisches Kulturfestival auf der Basis von Partizipation und Diskurs, ein Festival, das Impulse setzt, aufrüttelt, zur Aktivität einlädt und gleichzeitig dem künstlerischen und sinnlichen Erleben viel Raum lässt.
Nach den Kulturtagen ist vor den Kulturtagen: Im Jahr 2020 findet das Festival zum 25. Mal statt. Das Jubiläum trifft auf ein Europa, das immer stärker von nationalen Eigeninteressen geprägt wird. Die EKT:2020 halten dagegen. „Einladen zu Europa“ haben sie sich als Thema gesetzt. Möge diese Einladung in Europa gehört werden! Karlsruhe freut sich jedenfalls auf Europa.
Weitere Informationen zu den EKT finden Sie unter www.europaeische-kulturtage.de!