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Kuenstler Tobias Rehberger mit einem seiner Modelle Foto: Juliane Unkelbach

Kuenstler Tobias Rehberger mit einem seiner Modelle
Foto: Juliane Unkelbach

Interview

Tobias Rehberger über sein Projekt im Bahnhofsviertel von Münster

„An die Idee, sich vielleicht irgendwann auf Kaffeetassen wiederzufinden – darauf muss man sich einstellen.“

Der Künstler Tobias Rehberger im Gespräch mit Gail Kirkpatrick, Leiterin der Kunsthalle Münster und Kuratorin des Projektes.


Gail Kirkpatrick: Wie ist es dazu gekommen, dass nun bald der Mond von Alabama, von Wanne-Eickel oder viel- leicht auch von Mumbai über Münster scheinen wird? Wie hat sich für Sie die Projektidee entwickelt, was hat Sie inspiriert, als der Auftrag auf Sie zukam, die Schaltkästen im Bahnhofsviertel von Münster künstlerisch zu gestalten? Oder anders herum gefragt: Hat es einen besonderen Reiz für Sie, gerade für das Bahnhofsviertel ein Kunstwerk zu realisieren oder wäre es möglich, Ihre Gestaltungsidee für die Schaltschränke auch in andere Bereiche der Stadt zu übertragen?

Tobias Rehberger: Die Idee, etwas mit den Schaltkästen in Münster zu machen, fand ich im ersten Moment, ehrlich gesagt, etwas seltsam. Wie sollte man mit so etwas wie den Stromkästen umgehen? Aber wie in meiner Arbeit beiden Skulptur Projekten 1997 hat es mich gereizt, diese Unorte, die man ansonsten wie blinde Flecke gerne in seiner Wahrnehmung der städtischen Umgebung ausblendet, in Orte zu verwandeln, die sogar eine gewisse Qualität besitzen, ja die darüber überhaupt erst zu einem Ort werden. Und dann dachte ich, an so einem „romantischen“ Ort an der Hauptstraße zu sitzen, sich zu verabreden, Zeit zu verbringen, Händchen zu halten – genau das könnte etwas haben.
Gleichzeitig ging es mir aber auch darum, dieses emotionale Potential zu entdecken und herauszustellen, aber auf keinen Fall diese neuen, in gewisser Weise ja pseudo-romantischen Orte und ihre Objekte einfach nur zu dekorieren oder gar zu verhübschen, sondern Orte zu schaffen, die sich einerseits gleichsam selbst befragen und andererseits noch dazu Verbindungen mit anderen Orten aufnehmen.

GK: Die ansonsten eher unansehnlichen grauen Schaltkästen als Schau-, aber auch Sitzobjekte: Sie können bestaunt und besessen, beschmunzelt und auch ansonsten vielfältig benutzt werden: Wie werden die einzelnen Objekte genau funktionieren, was ist Ihre persönliche Vorstellung und Erwartung, wie sie von der Stadtbevölkerung angenommen wer- den sollten?

TR: Es gibt keine klare Gebrauchsanweisung und die soll es auch nicht geben. Ich bin absolut offen dafür, wie die Menschen in der Stadt die neuen Objekte annehmen, offen auch für Überraschungen. Ob sie sie als Treffpunkt oder als Orientierungspunkt nutzen, ob sie ihren Lieblingsort ausmachen, ob sie sich hier verabreden oder ob sie anhand der verschiedenen Objekte einem Parcours durch die Stadt folgen. Offen auch dafür, ob es junge oder ältere Menschen, Studenten, Berufstätige oder Senioren oder auch Menschen von außerhalb sind. Alles ist denkbar. Das Projekt ist in keiner Weise zugeschnitten auf bestimmte Bevölkerungsgruppen. Wichtig ist mir nur, dass für sie diese Un-Orte wieder ins Bewusstsein rücken, dass sie nicht mehr aus dem Stadtraum ausgeblendet werden. Dabei gibt es die verschiedensten Möglichkeiten, sie in das alltägliche urbane Leben einzubeziehen. Und nicht zuletzt können die Objekte ja auch einfach unter autonomen skulpturalen Gesichtspunkten gesehen werden...

GK: Wer erinnert sich nicht gern an Günter: Sie kennen Münster gut, allein von den Skulptur Projekten 1997, wo Sie mit „Günter's Bar“ eine der maßgeblichen Arbeiten geschaffen haben. Inwieweit reagiert Ihre Arbeit auf die spezifischen Gegebenheit der Stadt, die ja erst vor einigen Jahren noch zur lebenswertesten Stadt der Welt ausgezeichnet wurde? Und sehen Sie sich heute in Ihrer Auseinandersetzung mit der Stadt unter anderen Bedingungen konfrontiert als 1997, hat die Stadt sich sozusagen weiterentwickelt?

TR: Sicherlich kenne ich Münster und sei- ne spezifischen Gegebenheiten. Aber diese Schaltkästen-Objekte könnten auch an anderen Orten stehen. Es geht ja gerade um die Anonymität und Austauschbarkeit bestimmter Orte und Viertel in der Stadt, genau da, wo sich solche kleinen schwarzen Löcher der urbanen Wahrnehmung ausbilden. Die Erfahrung zeigt, dass dort praktizierte platte „Vernettungsstrategien“ meistens schief laufen. Orte und Plätze wie Solitäre künstlich aus dem Umfeld auszuschneiden, ohne die möglichen Wechselwirkungen zwischen Ort und Umgebung zu bedenken, macht eine Stadt nicht unbedingt schöner.

GK: Städte bilden und sichern heute die maßgeblichen Funktionsoberflächen sozialen Lebens. Wie funktioniert Stadt heute, was charakterisiert spezifische urbane Lebensräume, was kann Kunst in diesem Kontext überhaupt leisten?Das Thema Stadt interessiert daher längst nicht mehr nur die Menschen, die in ihr leben, sondern Stadtplaner, Architekten und vor allem Künstler. Wie lässt sich ihr künstlerisches Interesse am Thema Stadt beschreiben?

TR: Für das Thema Stadt habe ich mich immer interessiert, spätestens seit den Skulptur Projekten hat sich mein Bewusst- sein dafür geschärft. Denn es erschien mir schon sehr früh zunehmend interessant, nicht nur an vermeintlich neutralen Räumen wie Museen zu arbeiten. Im Gegenteil: Meine Arbeit geht grundsätzlich davon aus, dass es keine wirklich neutralen Räume gibt. Genau darauf werfen meine Arbeiten einen Reflex. Mich interessiert, was Räume hergeben. Dabei geht es nicht nur um eine konfrontative Begegnung mit dem bestehenden Raum, aber allemale auch nicht darum, Räume herauszuputzen. Es geht darum, eine Art von Lebenswirklichkeit einziehen zu lassen, zuzulassen. Darum, wie man bei Kunst übers reine Anschauen hinauskommt.

GK: Von der Stadt zum Stadt-Marketing: Aus künstlerischer Sicht wird dieses nicht selten unter Verdacht gestellt, kreative Prozesse für Marketing-Strategien zu instrumentalisieren. Das Ergebnis sind dann auch bisweilen übergentrifizierte Stadtteile und spekulative Tourismus-Konzepte. Wie ist Ihre Erfahrung mit der Herangehensweise des Projektes in Münster, das ja in der Tat nicht im autonomen musealen Umfeld entstanden ist. Im Gegenteil: Es steht ja ganz bewusst unter dem Anspruch, Aufenthaltsqualität und Atttraktivität eines Stadtviertels zu „optimieren“. Die Arbeiten werden mit Sicherheit zu so etwas wie neuen visuellen Ikonen avancieren, die das (Stadt-)Bild von Münster prägen, ich sehe sie schon als die neuen Postkarten-Motive von Münster. Freuen Sie sich schon darauf oder fürchten Sie das schon jetzt?

TR: Ich habe nichts dagegen, dass das Pro- je kt möglicherweise ein erfolgreiches wird – was auch immer das genau heißen mag. Die Idee zu dem Projekt kommt ja aus der Stadt heraus, es wird von seinen Bürgern getragen und gewollt – daran ist ja schließlich nichts Verwerfliches. An die Idee, sich vielleicht irgendwann auf Kaffeetassen wiederzufinden – darauf muss man sich natürlich einstellen. Aber man darf auch eines nicht vergessen: Die neuen Stromkästen sind ja auch nicht einfach schön. Und was ist mit einem möglichen Vandalismus, den ich nicht nur negativ sehe, den ich auch als aktives Mitgestalten begreife. Gegen bestimmte unangenehme Arten der Vereinnahmung behaupten sich die Objekte also per se mit einer gewissen Widerständigkeit.


Tobias Rehberger

geboren: 1966 in Esslingen am Neckar

seit 2001: Professur an der Staatlichen Hochschule für Bildende Künste Städelschule Frankfurt. Lebt in Frankfurt am Main und Berlin

2001: Otto Dix-Preis

2003: Karl Ströher-Preis, Frankfurt a.M.

Die Einweihung der ersten Arbeiten wird Mitte Sep. 2013 sein, die Fertigstellung aller elf Stationen, für die bereits künstlerische Modelle vorliegen, ist für 2014 geplant. Ein umfangreiches Rahmen- und Vermittlungsprogramm wird die Installation der neuen Skulpturen im Stadtraum begleiten. So soll es ab Herbst seitens der Akademie und dem Lehrstuhl für Kunstpädagogik unter dem Label „Kunst-Schalter“ ein eigenes Programm mit Führungen zu den Skulpturen geben, mit dem die Münsteranerinnen und Münsteraner ebenso wie ihre Gäste die neue Kunst im öffentlichen Stadtraum erleben können.

Mehr Informationen unter www.muenster-art-public.de

(Dieses Interview ist im Jahrbuch Kulturmarken 2014 erschienen)