Der neue Kulturstandort im Hamburger Süden
Constanze Klotz und Gerti Theis
Die Auseinandersetzung mit Kunst und Kultur im Kontext von Internationalen Bauausstellungen ist keine Ausnahme, sondern vielmehr bestätigte Regel. Bereits ein Rückblick auf die Ursprünge von Bauausstellungen zeigt, dass schon die erste IBA in Deutschland – die Mathildenhöhe in Darmstadt 1901 – sich in besonderem Maße der Einheit von Kunst und Leben widmete. Die IBA Hamburg tritt nicht nur mehr als 100 Jahre später an, sie findet mit den Hamburger Elbinseln Wilhelmsburg, Veddel und dem Harburger Binnenhafen zudem an einem Ort statt, der in besonderem Maße von seiner Vielseitigkeit bestimmt ist. In der Auseinandersetzung mit der Heterogenität der Elbinsel-Stadtteile hat die IBA Hamburg ein Kunstverständnis entwickelt, das auf die Problemstellungen, aber auch die Potenziale des Ortes und seiner Bewohner deutlich Bezug nimmt.
Kreatives Quartier Elbinsel – Programme und Projekte
Die Voraussetzungen für ein Kreativlabor auf den Hamburger Elbinseln sind günstig. Mit ihrer interkulturellen Atmosphäre, ihren unentdeckten Freiräumen und ihrer stetig wachsenden Kreativszene bieten sie den idealen Ort für die Erprobung neuer, experimenteller Arbeits- und Lebensmodelle. Mithilfe von künstlerischen und kulturellen Projekten sowie auf den Ort zugeschnittenen Angeboten für die Kreativwirtschaft möchte die IBA Hamburg hier eine Entwicklung anstoßen, die die Elbinseln langfristig in der Hamburger Kulturszene verankert. Dabei setzt die IBA auf die Erprobung unkonventioneller, ergebnisoffener Formate, die lokale Potenziale mit externen Impulsen zusammenführen: Zu den Projekten gehören die Kunstplattform der IBA Hamburg, die Projektreihe „Kunst macht Arbeit“, die Infrastrukturförderung „Räume für die Kunst“ sowie die Förderung der „Projekte der kulturellen Vielfalt“. In allen Projekten versteht sich die IBA Hamburg als Katalysator, der Arbeitsprozesse initiiert, die weit über die Dauer der IBA Hamburg hinaus wirken sollen.
Räume für die Kunst
Die Infrastrukturförderung „Räume für die Kunst“ unterstützt kreative und künstlerische Strukturen und schafft Voraussetzungen für eine langfristige, lebendige Kulturszene auf den Elbinseln. Mit den Veringhöfen wird seit zwei Jahren das erste Projekt modellhaft entwickelt. Es zeichnet sich durch eine frühzeitige Einbeziehung der zukünftigen Nutzer in den gesamten Entstehungsprozess sowie eine enge Rückkopplung an Belange und Interessen im Stadtteil aus. Mit einem energetisch hochwertigen Sanierungskonzept soll außerdem ein langfristig interessantes Mietniveau für die zukünftigen Nutzer garantiert werden. Der Einzug in die Veringhöfe soll 2012 stattfinden.
Kunst macht Arbeit
In der Projektreihe „Kunst macht Arbeit“ greift die IBA Hamburg vorhandene Strukturen und Projektideen im Feld der Kreativität und der lokalen Ökonomien auf, um sie im gemeinsamen Diskurs für Wilhelmsburg weiterzuentwickeln. Ziel ist es, arbeitsmarktpolitische und stadtentwicklungspolitische Ansätze zusammenzubringen und modellhafte Projekte zwischen Non-Profit-Organisationen, sozialen Trägern, Künstlern und Kreativen anzustoßen. Dabei sollen insbesondere jene Akteure durch Empowerment und Wertschätzung an der Kreativdebatte teilhaben, die normalerweise von dieser ausgeschlossen werden. Derzeit entstehen in vier Projekten neuartige Bündnisse.
„Musik & Brunch“, eine monatlich stattfindende, musikalische Veranstaltungsreihe auf dem IBA DOCK ist eines davon. Das Kooperationsprojekt zwischen der IBA Hamburg und dem „Netzwerk für Musik von den Elbinseln“ bietet Musikern und Musikerinnen von den Elbinseln eine neue, verlässliche Bühne und erprobt zugleich neuartige Formen von Kreativwirtschaft für die Elbinseln. Initiiert durch das Bürgerhaus Wilhelmsburg betreibt das „Netzwerk für Musik von den Elbinseln“ seit 2008 musikalisches Community Building in den Stadtteilen Wilhelmsburg und Veddel.
Die gemeinnützige Werkstatt „NähGut“ ist ein berufliches Integrationsprojekt für langzeitarbeitslose Menschen, das seit Februar 2010 geförderte, selbst finanzierte Ausbildungsplätze sowie Arbeitsgelegenheiten einrichten konnte. Das Angebot von NähGut umfasst eine eigene Kinderkollektion, die Ausstattung von Theaterstücken, das Angebot von Nähkursen in einer freien Werkstatt sowie Auftragsarbeiten für den kommerziellen Designbereich. Im Sommer 2011 führt der Hamburger Künstler Rupprecht Matthies gemeinsam mit Näh-Gut das Projekt „Wilhelmsburger Kissen“ durch – ein SprachWortKissenProjekt, das gemeinsam mit den Teilnehmern der Einrichtung entsteht. Im Anschluss folgt eine Wanderausstellung.
Kunstplattform
Seit 2008 richtet die IBA Hamburg eine Kunstplattform mit wechselnden Kuratoren aus, die sich mit der Schnittstelle von Stadtentwicklung, Kunst und Alltagsleben auseinandersetzt. Ziel ist es, die Bevölkerung und ihre Lebensräume vor Ort zum Mittelpunkt künstlerischer Projekte zu machen und Kunst als wichtigen Bestandteil von nachhaltigen Stadtentwicklungsprozessen hervorzuheben. 2008 fand die Kunstplattform erstmals unter dem Motto „Kultur | Natur“ statt, durchgeführt von dem Kuratorenteam Anke Haarmann und Harald Lemke (www.kultur-natur.net). 2009 und 2010 gestalteten die Kuratorinnen Ute Vorkoeper und Andrea Knobloch die Kunstplattform unter dem Motto „Akademie einer anderen Stadt“ (www.mitwisser.net). Ausgehend von den Bewohnern der Elbinseln, ihrem kulturellen Wissen und kulturellen Praktiken verknüpften sie zeitgenössische künstlerische Praxis und interkulturelle Arbeit. Es entstanden die Ausstellung „Zeichen von Respekt“ sowie der Kunstparcours „Aussicht auf Veränderungen“, der im September 2010 vier Wochen lang entlang der Hamburger S-Bahn Linie 3 künstlerische Projekte, u. a. zwischen Künstlern und Schulen zeigte. Im Jahr 2011 übernimmt die „Akademie einer anderen Stadt“ die Aufgabe, die bisherigen Kunstaktivitäten der IBA Hamburg zu reflektieren und in einen öffentlichen Dialog über die Frage „Kunst in der Stadt“ anzustoßen. Der gleichnamige Kongress „Verschiedene Ansichten teilen. Kunst in der Stadt“ findet am 11./12. November 2011 statt. Seit 2011 entwickeln die Kuratoren der vergangenen Jahre außerdem gemeinsam mit lokalen Kultur- und Bildungseinrichtungen ein Konzept für internationale Kunst auf den Elbinseln, welches die künstlerischen Impulse der IBA Programme über 2013 hinaus führen soll.
Projekte der kulturellen Vielfalt
Mit den „Projekten der kulturellen Vielfalt“ setzt die IBA Hamburg auf temporäre Festivals und Aktionen und damit auf das Spannungsfeld zwischen Festivalisierung und kultureller Inszenierung. Unterstützt werden Veranstaltungen, die entweder be- sondere Orte der Elbinsel hervorheben, einen kulturellen Bezug zu den IBA-Themen oder aber im Sinne eines nachhaltigen Veranstaltungskonzepts einen Mehrwert für den Stadtteil herstellen. Vor dem Hintergrund einer langfristig orientierten Veranstaltungskultur fördert die IBA Hamburg bestehende Veranstaltungen wie das Spreehafenfestival (www.spreehafen-festival.de), aber auch neue Ideen, die aus dem Stadtteil kommen. Mit dem Sommercamp LÜTTVILLE, das aus dem eigenständigen Kunst- & Musikfestival MS DOCK- VILLE (www.dockville.de) hervorgegangen ist, unterstützt die IBA seit 2008 ein jährlich wiederkehrendes, künstlerisches Ferienangebot für Kinder und Jugendliche, das sich insbesondere durch seine Vernetzung mit örtlichen Kinder- und Jugendkultureinrichtungen sowie der „Bildungsoffensive Elbinseln“ (BOE) auszeichnet.
Vorankündigungen 2011
Monatliche Veranstaltungsreihe „Musik & Brunch“ auf dem IBA DOCK, Ausstellung „Wilhelmsburger Kissen“, Sommercamp „LÜTTVILLE“, IBA LABOR „Kunst einer anderen Stadt“: 11./12.11.2011, Diskussionsforum IBA KULTUR-CAFÉ mit wechselnden Referenten zur Schnittstelle Stadtentwicklung und Kultur- und Kreativwirtschaft, Kunst- & Kreativzentrum Veringhöfe: Einzug 2012
Dieser Beitrag wurde im Jahrbuch Kulturmarken 2012 veöffentlicht.