Von Dr. Hagen W. Lippe-Weißenfeld und Dipl.-Ing. Jan Hinnerk Meyer
Kulturmanager Dr. Hagen W. Lippe-Weißenfeld und Architekt Jan Hinnerk Meyer betreiben ein Architekturbüro und eine Beratungs- und Dienstleistungsgesellschaft, deren Name sprichwörtlich Programm ist: ProjektSchmiede. Sie nehmen Bedarfe von Kommunen, Institutionen oder Investoren auf und schmieden Projekte für Wirtschaft, Kultur und Gesellschaft. Ihr Credo ist, dass von ihren Projekten immer alle Seiten gleichermaßen profitieren sollen. Notwendige Debatten zu Kulturbauten schieben die beiden selbst an, schaffen Diskussionsforen sowie städtebauliche und architektonische Entwürfe, um mit bildlichen Signets die Debatten anschaulich zu illustrieren. Aktuell findet auf dieser Basis eine lebhafte Diskussion über Neubau oder Sanierung der Deutschen Oper am Rhein in Düsseldorf statt.
Stellen wir uns einmal zwei Stadtmodelle vor und fragen uns, was wir interessanter fänden: Auf der einen Seite eine Stadt als reiner Industrie- oder Wirtschaftsstandort und im Vergleich dazu eine Stadt mit darüber hinaus interessanten Museen, lebendigen Theatern und einer prosperierenden Kulturszene. Die Antwort dürfte wohl eindeutig ausfallen! Ohne Kulturbauten wären unsere Städte gewiss seelenlose Orte, Plätze und Gebäudeansammlungen, die rein auf ihren ökonomischen Nutzen reduziert würden. Wenig würde Menschen dazu anregen, die eine oder andere Stadt oder Region deshalb zu besuchen, weil es dort lebendig und kontrovers zugeht, ein attraktives Kulturprogramm wartet und sich stilprägende Architekturikonen berühmter Baumeister besichtigen lassen, für die es sich lohnen würde, eine weite Anreise auf sich zu nehmen. Denken wir an Wagners Hügel, dessen Opernhaus wie ein Pantheon über Bayreuth trohnt und dessen „Erklimmen“ zu den gesellschaftlichen Highlights der Republik gehört. Oder an das Guggenheim-Museum Bilbao, dessen gleichnamiger Effekt der Stadt seit seiner Eröffnung 1997 einen anhaltenden Touristenboom beschert. Abseits dieser nationalen „Kulturtempel“ hat - zumindest in Deutschland - fast ausnahmslos jede Gebietskörperschaft ihre kleinen oder großen Kultureinrichtungen, deren Gebäude wie Leuchttürme zumeist in prominenten Zentrumslagen auf ihre Umgebung ausstrahlen. Warum wurden Kulturbauten genau wie Kirchen immer inmitten einer Stadt errichtet? Was sagt das aus über ihre kulturhistorische und identitätsstiftende Bedeutung für ihren Ort? Wie erleben wir dadurch die Traditionen und Werte eines Gemeinwesens, einer Nation? Kulturbauten als Distinktionsmittel waren in feudalistischen Zeiten die beste und eleganteste Form, Überlegenheit und Macht zu demonstrieren. Zugleich aber auch geistige Prosperität und Experimentierfreude zu kultivieren. Die Initialen der jeweiligen Regenten in den Giebeln großer Musentempel zeugen noch heute von diesem gesellschaftlichen Gestaltungsanspruch.
Abreißen, neu bauen, sanieren?
Viele Jahrzehnte später steht jedes Land bisweilen vor einem individuellen Dilemma: Wie hält man es mit seinem in Stein gemeißelten kulturellen Erbe, von dem inzwischen landauf landab nach inoffiziellen Statistiken rund 80 Prozent sanierungsbedürftig ist? Abreißen, neu bauen, sanieren – diese Trias der Alternativen wird mancherorts zum Fluch und löst heftige Kontroversen aus. Nicht selten wird sie aber auch zum Segen, wenn ein Neubau zu dem Besuchermagnet einer Stadt oder ganzen Region wird! In der nordrhein-westfälischen Landeshauptstadt Düsseldorf wird dazu gerade eine lebhafte Debatte geführt. Soll man den Bestandsbau generalsanieren oder abreißen und an anderer Stelle oder an gleicher Stelle neu errichten? Unsere Vorschläge, einen Opern-Neubau an gleicher Stelle oder im Hafen zu errichten, führten dazu, dass sich nun eine engagierte Bürgerschaft verantwortlich einschaltet und auch Bereitschaft signalisiert, sich finanziell zu engagieren. Man wird sehen, zu welchem Ergebnis diese vorbildlich offene und konstruktive Debatte führt.
Masterplan Kulturbauten als Grundlage
Im Idealfall gäbe es für jede Stadt, ob klein oder groß, einen Masterplan Kulturbauten. Der enthielte detaillierte Bestandsaufnahmen mit präzisen Zustandsbeschreibungen genauso wie ein „Ampelsystem“, was nach Prioritäten gestaffelt notwendige Einzelmaßnahmen ausweist und dem Betreiber differenziert aufzeigt, wo Handlungsdruck herrscht. Wenn dieser Maßnahmenkatalog dann auch noch preislich taxiert und jährlich für die einzelnen Gebäude fortgeschrieben würde (Bauunterhalt), könnte jedes Parlament langfristig entscheiden, wann es in welchem Jahr welche notwendige Maßnahme durchführen will. Die Gründe, warum das nicht geschieht, sind vielfältig.
Auch wenn es Düsseldorf im Vergleich zu anderen Kommunen finanziell noch sehr gut geht, ist hier das gleiche Phänomen wie allerorten zu beobachten: Die Politik bleibt verzagt und visionslos. Anstatt alle Probleme einmal in Ruhe zu analysieren und dann den Mut für eine „große Lösung“ zu entwickeln, entscheidet sie sich lieber Jahr für Jahr dafür, nur das Allernötigste an Ihren Kulturbauten zu reparieren. Das führte in der Düsseldorfer Oper in der Vergangenheit schon zu grotesken Situationen, dass nämlich Aufführungen abgesagt werden mussten, weil die Sicherheit der Künstler hinter und auf der Bühne nicht mehr gewährleistet werden konnte. Wir haben diesen unhaltbaren Zustand zum Anlass genommen, um eine Diskussion darüber zu eröffnen, welche alternativen Denkmodelle es denn gäbe und haben vier verschiedene Szenarien durchdekliniert.
Generalsanierung
Deren Kosten werden aktuell vom Kulturdezernat ermittelt. Vorteil: Erhalt des Denkmals. Nachteile: Weitere Kostensteigerungen nicht ausgeschlossen, man bleibt im „alten Korsett“. Weiterhin zu geringe Platzverhältnisse, eingeschränkte Funktionsabläufe und fehlender Mehrwert.
Generalsanierung und Erweiterung
Vorteil: Ergänzung heute fehlender Funktionen. Nachteile: Problem der eigeschränkten Funktionsabläufe („altes Korsett“) bleibt bestehen. Weitere Kostensteigerungen nicht ausgeschlossen.
Neubau an anderer Stelle Vorteile: Neubau böte optimale Raumzuschnitte und Funktionsabläufe. Nachverwertung des alten Grundstücks liefert finanziellen Grundstock zur Neubaufinanzierung. Kein Interim nötig. Nachteil: Oper verlässt den zentralen Standort Heinrich-Heine-Allee.
Neubau an bisheriger Stelle
Vorteile: Bau eines „Signature-Buildings“ als städtebaulicher Leuchtturm und Brücke zwischen Altstadt und Hofgarten/Gründgens-Platz/Königsallee. Nutzungsmix durch Dachterrasse, Restaurants, Hotel, Tiefgarage mit direktem U-Bahnanschluss HeinrichHeine-Allee etc. Nachteil: Mindestens 5 Jahre Interimsspielstätte notwendig.
Wir sind der festen Überzeugung, dass es sich lohnt, in der ersten, der Leistungsphase "0", in der noch keine externen Planer an Bord sind, tief genug zu denken und Projektbudgets dafür angemessen anzusetzen. Für diese wichtige Phase braucht es Zeit, fundierte Vorüberlegungen, dadurch klare Aufgabenstellungen mit Projektgrundlagen und -zielen, die realistische Einpreisung von Projektrisiken und damit zur Aufgabenstellung passende Budgets zu errechnen. Kulturbauten sind keine „normalen" Bauvorhaben. Man bewegt sich hier im Spannungsfeld einerseits beispielsweise starrer Richtlinien der Verordnung für öffentliche Versammlungsstätten und andererseits ganz spezieller technischer und architektonischer Anforderungen für eine flexible künstlerische Nutzung der Räume. Hier können wir als erfahrene, empathische Architekten und Projektsteuerer die Debatte von außen ganz unbefangen führen, weil wir mit dieser Art von Spezialgebäuden und den individuellen Wünschen der künstlerischen Leitungen bestens vertraut sind. Hinzukommt ein ganz generelles Phänomen, dass nämlich Bauherren die nach Abschluss eines Bauvorhabens in den Folgejahren anfallenden Betriebs- und Bauunterhaltskosten nur selten von vorneherein realistisch mit berechnen lassen. Die Betriebskosten müssen später häufig aus den künstlerischen Budgets finanziert werden, was zu existenziellen Kontroversen in den Häusern führt. Von den notwendigen Budgets für den Bauunterhalt ganz zu schweigen. Auch dieses Problem benennen wir in Düsseldorf offen und fordern die Verwaltung auf, realistische und korrekte Zahlen zu liefern.
Weil aktuelle Negativbeispiele wie die Oper Köln oder die Bonner Beethovenhalle die Steuerzahler zurecht nerven, möchten wir mit unserer Diskussion in Düsseldorf den umgekehrten Trend einläuten. Wir haben den Ehrgeiz, dass das Thema endlich einmal positiv diskutiert wird! Mit einem Blick auf die Chancen und nicht nur auf die Risiken. Wir haben daher kurzerhand einen Entwurf einer neuen Oper an anderem Standort, nämlich im Hafen vorgestellt. Dieser Vorschlag führte zu großen Emotionen („Rheinische Elphi“) und einer kontroversen Debatte, allerdings mit dem Ergebnis, dass die Mehrheit der Bürger „ihre Oper“ am bisherigen Standort favorisiert. Daraufhin haben wir auch für den alten Standort einen neuen, spektakulären Entwurf geliefert, der großes mediales Echo und eine Welle der Sympathie für den bisherigen Standort und das Thema Oper auslöste. Plötzlich waren sich alle einig, dass es doch eine gute Idee sei, ein neues Opernhaus zu bauen, was nicht nur beste künstlerische und räumliche Bedingungen bieten würde, sondern zugleich auch kombinierbar wäre mit weiteren bürgerfreundlichen Nutzungen. Von einem eingebauten Hotel über eine Dachterrasse mit spektakulärer Rundum-Sicht über Düsseldorf, von Restaurants bis zu einer Tiefgarage und einem eigenen U-Bahn-Anschluss. „Alles ist möglich, wenn wir nur wollen“, lautet der neue Schlachtruf. Unser Vorgehen führt dazu, dass sich die Bürger aktiv in die Debatte einschalten und ihrerseits Transparenz von der Verwaltung einfordern. Dass sie sich an der öffentlichen Diskussion beteiligen. Und dies nicht nur mit Leserbriefen, sondern mit öffentlichen Foren und Symposien, die entweder von den örtlichen Medien oder von der Oper selbst mit ihrem Freundeskreis oder von uns als ProjektSchmiede initiiert werden. Schließlich soll der Politik im Stadtrat ganz konstruktiv geholfen werden, eine sichere Entscheidungsgrundlage zu finden, von der gewiss ist, dass sie von der Mehrheit der Bürgerschaft getragen wird. Nur wenn es diese Debatten vorher gegeben hat, man sich mit allen vier Lösungsszenarien intensiv beschäftigt hat, kann es eine visionäre Entscheidung geben, die über Jahrzehnte trägt und Düsseldorf kulturpolitisch, städtebaulich und architektonisch einen echten Quantensprung beschert.