Dies kann ein starker europäischer Moment werden. Ein Moment, in dem die Menschen verstehen, wie wichtig es ist, europäische Freunde zu haben, die sich gegenseitig unterstützen, ein Moment, in dem Sie essentielle Informationen, Fachkenntnisse und Vorräte austauschen, ein Moment, in dem Sie erkennen, wie eine epochale Krise durch eine starke Kultur des Teilen und Solidarität bewältigt werden kann. Die Corona-Krise kann zu einem solchen europäischen Moment führen.
Als der Corona Virus nach Europa kam sah es anfangs gar nicht nach einem großen europäischen Moment aus. Die nationalen Regierungschefs ergriffen die Initiative, schlossen Grenzen und hordeten medizinisches Material für den nationalen Markt. Man hörte große Reden an die eigene Nation von Premierministern, Präsidenten und Kanzlerinnen, die jetzt die richtigen Worte fanden, während man von europäischen Politikern fast nichts hörte. Man las von angeblichen Nord-Süd Fraktionen europäischer Finanzminister, die sich wie in einem Rosenkrieg beharken anstatt an einer Art europäischen Marschall Plan zu arbeiten. Man sah, wie chinesische und russische Solidaritätsflugzeuge mit dringend benötigter medizinischer Versorgung und Personal in Italien landen. Die ersten Wochen der Corona Krise waren kein stolzer europäischer Moment, sondern schienen ein Rückfall in das Europa der zerstrittenen Vaterländer.
Dabei hat Europa in den letzten 75 Jahren eine einzigartige Kultur des zwischenstaatlichen Teilens geschaffen, eine Art innovative Sharing-Society lang bevor man mit digitalen Sharen von Kurznachrichten, Taxis, Wohnungen und Scootern virtuelle Milliarden verdienen konnte. Und das hat uns Europäern, und dem Rest der Welt, gutgetan. Erinnern wir uns kurz, wir waren früher der Kontinent, der für Krieg, Hass und Kolonialisierung weltbekannt war. Jetzt ist der Moment, wo sich das Europäische Modell des Teilens unter Extrembedingungen bewähren muss. Oder nicht.
Es gibt Hoffnung. Bürger hielten sich die (virtuelle) Hand, übten kleine und oft einfallsreiche menschliche Gesten der alltäglichen Solidarität. Dies verband uns über Balkone, soziale Netzwerke, Städte und Länder hinweg. Es ist die menschliche Hoffnung und unsere gemeinsame Kultur ohne viel Aufhebens, die uns das Gefühl gibt, zusammen zu gehören, und das ist jetzt ganz viel wert! Dies ist die Kultur der Solidarität, die aus dieser Krise erwachsen kann. Dies ist ein europäischer Moment, ein europäischer Moment der Solidarität, ein europäischer Moment der Bürger.
Auf den verpatzen europäischen Frühling folgte ein Sommer, in dem sich europäische Regierungschefs dann auf ein gewaltiges europäisches Aufbauprogramm einigten, das nicht nur eine Bestätigung des bisherigen europäischen Kooperationsmodels war sondern sogar darüber hinausging. Nun liegt es an der Umsetzung, ob dies doch noch ein europäischer Moment der Solidarität wird.
Bei der Europäischen Kulturstiftung haben wir beschlossen, auf diesen Moment zu setzen, und einen neuen Fonds für die Stärkung einer europäischen Kultur der Solidarität einzurichten, für den wir einen erheblichen Teil unseres Haushalts bereitgestellt haben. Dieser Fonds unterstützt Künstler, Kulturschaffende und die gesamte Zivilgesellschaft auf flexible Weise bei ihrer Reaktion auf die Corona-Krise und deren Nachbeben über europäische Grenzen hinweg in Zeiten von Reisebeschränkungen und sozialer Distanz. Wir laden alle ein, sich mit Geld oder Ideen am Erfolg dieser Initiative zu beteiligen. Der Fond ist offen.
Dies ist die Zeit, in der wir Europäer unsere einzigartige europäische Kultur des Teilens wertschätzen und vertiefen sollten, anstatt sie auseinander brechen zu lassen. Dies kann und muss einfach ein europäischer Moment der Solidarität sein.