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Migros-Genossenschafts-Bund

»Von Privatunternehmen wird heute erwartet, dass sie in die Kultur investieren«

Interview mit Hedy Graber, Leiterin Direktion Kultur und Soziales, Migros-Genossenschafts-Bund

Das Migros-Kulturprozent ist der größte private Kulturförderer in der Schweiz. Es ergänzt die öffentliche Hand und zeichnet sich insbesondere dadurch aus, dass es eigene, nachhaltig ausgerichtete Projekte lanciert. 1957 wurde es als eigenständiger Unternehmenszweck in den Statuten festgeschrieben. Seither hat das Migros-Kulturprozent über 3,5 Milliarden Euro investiert, um der Gesellschaft im Sinne Gottlieb Duttweilers »etwas zurückzugeben«. Nicht ohne Folgen: Soeben wurde die Migros wieder zum beliebtesten Unternehmen der Schweiz gewählt.

Hedy Graber, Kulturförderung ist eigentlich eine staatliche Aufgabe – weshalb braucht es daneben auch private Förderer?

Wir haben soeben eine breit angelegte Umfrage in der ganzen Schweiz gemacht, die deutlich zeigt, dass von Privatunternehmen erwartet wird, dass sie in die Kultur investieren. Vor zehn Jahren war die Mentalität anders. Heute besteht eine klare Erwartungshaltung seitens der Bevölkerung. Das Migros-Kulturprozent hat aber auch einen historischen Auftrag. Migros-Gründer Gottlieb Duttweiler sagte: »Je mehr man verdient, desto größer ist die Verantwortung, in der Gesellschaft einen Mehrwert zu schaffen und entsprechende Mittel zur Verfügung zu stellen«. Das gilt für die Migros als größte Arbeitgeberin der Schweiz in besonderem Maße.

Kulturausgaben sind oft im Sponsoring angesiedelt, kombiniert mit einem dominanten Markenauftritt.

Das Migros-Kulturprozent hat eine ganz andere Aufgabe als die Sponsoring-abteilung. Es soll der Gesellschaft etwas zurückgeben, den Menschen »Teilhabe ermöglichen« an gesellschaftlichen Prozessen, und ist nicht dem Marketing untergeordnet. Das bedeutet eine viel größere Freiheit: Wir können künstlerische Positionen entdecken, bevor diese in den Mainstream wandern und sponsoringfähig werden.

Aber Sie streben eine Imagewirkung an?

Die Unterscheidung ist einfach: Im Sponsoring fließen große Mittel nicht in Projekte, sondern in die Kommunikation, und die Wirkung muss sich sofort im Absatz niederschlagen. Das Migros-Kulturprozent dagegen stiftet Sympathie. Unsere Umfrage zeigt, dass rund ein Viertel der Befragten gerade auch wegen des Migros-Kulturprozent in der Migros einkauft.

Wie gehen Sie mit der Freiheit um, die das Migros-Kulturprozent im Unternehmen genießt?

Freiheit ist immer mit Verantwortung gepaart. Das heißt, wir müssen uns jederzeit fragen, welche Verantwortung wir in der heutigen Gesellschaft haben und wie wir unsere Förderpolitik daran orientieren. Heute setzen wir stark auf Maßnahmen, die einen roten Faden haben. So ist zum Beispiel unsere Talentförderung nicht nur auf Hilfe beim Karrierestart ausgerichtet, sondern fördert angehende Kunstschaffende auch in unseren andern Formaten – sei es, dass sie anlässlich der Migros-Kulturprozent Classics gemeinsam mit internationalen Orchestern auftreten oder dass wir für eine Ausstellung im Migros Museum für Gegenwartskunst neue Werke initiieren, die wir dann für unsere Museumssammlung ankaufen. Ein anderer roter Faden ist die Vermittlung ans Publikum, die wir bei all unseren Projekten berücksichtigen. Das reicht von klassischen Führungen bis hin zu innovativen Formaten für verschiedene Generationen. 2014 haben wir ein Projekt im intergenerationellen Bereich lanciert, bei dem bereits über hundert öffentliche Museen mitmachen.

Sie sind ständig unterwegs zwischen Innovation und breiter Bevölkerung, Zukunftsprojekten und historischem Auftrag – ist das kein enormer Spagat?

Den federt unsere breite Struktur ab. Die zehn Migros-Genossenschaften betreiben die regionale Kulturförderung; sie sind nahe bei den Menschen, so besteht auch an kleinen Orten die Chance, mit dem Migros-Kulturprozent in Kontakt zu kommen. Im urbanen Umfeld braucht es andere Programme. Wir richten unsere Projekte so aus, dass es unterschiedliche Angebote für ein unterschiedliches Publikum gibt, wobei der Migros-Genossenschafts-Bund (MGB) als nationales Kompetenzzentrum die Aufgabe hat, einen Schritt voraus zu sein und auch Initiativen zu ergreifen, die manchmal erst Jahre später mehrheitsfähig werden.

Wo setzen Sie Schwerpunkte?

Bei Formaten mit einer schweizweiten Ausstrahlung achten wir darauf, diese zeitgemäß weiterzuentwickeln. So haben wir zum Beispiel Gottlieb Duttweilers»Klubhauskonzerte« vor sechs Jahren völlig neu positioniert und beziehen in jedem Konzert der Migros-Kulturprozent-Classics auch Schweizer Solisten mit ein. Inzwischen erreichen wir damit eine Auslastung von über 90 Prozent und gewinnen ein neues Publikum für die Konzertsäle.

Wie entstehen neue Projekte?

Wir versuchen, Lücken zu schließen. Gleichzeitig verfolgen wir die Entwicklung der Gesellschaft und der Kulturschaffenden und halten unsere Projekte entsprechend aktuell. Zum Beispiel im Design: Letztes Jahr lancierten wir ein Projekt, das Designförderung als »Schritt zum Markt« versteht. Wir vergeben also nicht einfach Preise für gutes Design, sondern helfen Designern, ihre Produkte im Markt zu positionieren. Die bestehende Förderungslücke haben wir also derart interpretiert, dass wir die Interessen von Designern und Markt direkt verbinden. So profitieren beide Seiten. Damit verfolgen wir explizit auch einen neuen Ansatz in der Förderung.

Das Migros-Kulturprozent war 1988 der erste Förderer in der Schweiz, der zeitgenössischen Tanz unterstützt hat. Gleichzeitig lancierten Sie ein bedeutendes internationales Tanzfestival. Wie aktiv interpretieren Sie Ihre Rolle in der Kulturpolitik?

Wir schauen jeweils auch mittel- und langfristig, was ein nachhaltiges Engagement bewirken kann. Beim Tanz ist es uns gelungen, dass jetzt auch staatliche Förderkredite ausgerichtet werden und der Tanz zu einergut vernetzten Kultursparte wurde. Mit dem Migros-Kulturprozent Tanzfestival Steps wurde also ein politischer Prozess angestoßen, der in diverse Projekte der öffentlichen Hand überging – bis hin zur 2014 geschaffenen Tanzausbildung in der Schweiz.

Ein wichtiges Gut ist die Glaubwürdigkeit der Förderarbeit. Wie kommt das Migros-Kulturprozent zu seiner hohen Wertschätzung in der Bevölkerung?

Unsere Glaubwürdigkeit erschließt sich dadurch, dass wir nicht nur beim Publikum, sondern auch bei den Kulturschaffenden eine hohe Akzeptanz genießen. Dabei spielen Professionalität und Qualitätsprozesse eine wichtige Rolle. Denn wenn die Qualität nicht stimmt, kommt auch kein Publikum. Wichtig ist auch, dass wir vielfältige Zusammenarbeiten mit staatlichen Institutionen pflegen. Wir prüfen diese im Vorfeld intensiv, bis alle Beteiligten ein gemeinsames Ziel verfolgen.

Sie sind jetzt auch für das neue Schwesterformat »Engagement Migros« verantwortlich, das ebenfalls in Kultur und Gesellschaft investiert.

Seit der Gründung des Migros-Kulturprozent 1957 ist die Migros eine große Unternehmensgruppe geworden, die sich ebenfalls ihrer Verantwortung gegenüber der Gesellschaft stellt. Daher ist 2012 ein Förderfonds entstanden, mit dem wir auch neue Fördermodelle testen, die nicht spartenspezifisch funktionieren, sondern einer»Kartografie« gleichkommen. So entstehen in der Förderung neue Themenfelder und zukunftsträchtige Zugangsweisen. Dabei nutzen wir das Prinzip, dass man nicht einfach Unterstützung beantragen kann, sondern gescoutet werden muss. Beim Förderfonds Engagement der Migros-Gruppe stehen wir noch ganz am Anfang. In vier bis fünf Jahren werden wir die wichtigen Mechanismen aufgebaut haben, um kulturelle Förderfragen auf eine zeitgemäße Art lösen zu können.

Können Sie dies auch den durchschnittlichen Konsumentinnen vermitteln, die in der Migros einkaufen?

Wenn wir den Menschen von unserer Initiative erzählen, bei der ein Großvater mit seinem Enkel für 25 Euro ein Klassikkonzert von Weltformat besuchen kann und er vorher an einem Einführungsworkshop mit dem Intendanten teilgenommen hat, der ihm alle Zusammenhänge zu Orchester, Solisten und Programm erklärte, dann bekommen viele glänzende Augen. Jedermann kann nach vollziehen, was so ein gemeinsames Kulturerlebnis, so eine Entdeckungsreise zwischen den Generationen, alles bewirken kann. Es ist ja nicht einfach ein Zoo-Besuch – man unternimmt etwas, das man sonst nie machen würde. Für uns ist es sehr schön, solche Erlebnisse ermöglichen zu können.

www.migros-kulturprozent.ch 

Jahrbuch:2015

  • Alt und Jung betrachten Kunst im Kunstmuseum St.Gallen
  • Alt und Jung betrachten Kunst im Kunstmuseum St.Gallen
  • Ansicht Ausstellungsraum in der Sammlung Migros Museum für Gegenwartskunst - Liz Craft, Pinwheel III (Palm Tree), 2008 und Dawn Mellor, Bloodbath Dorothy, 2008
  • Ansicht Ausstellungsraum in der Sammlung Migros Museum für Gegenwartskunst: David Renggli, You, Can You Recommend Your Psychiatrist? (2007)
  • Ansicht Ausstellungsraum in der Sammlung Migros Museum für Gegenwartskunst: Rachel Harrison, Trees for the Forest (2007)