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BEST PRACTICE

Chancengerechtigkeit beginnt in der frühen Kindheit

Lapurla, eine gemeinsame Initiative des Migros-Kulturprozent und der Hochschule der Künste Bern HKB – macht sich seit drei Jahren für eine Kultur der frühen Kindheit stark. Im Mai 2021 erfolgte der Startschuss für ein nationales transdisziplinäres Netzwerk. Mit vereinten Kräften sollen für Kinder von 0-4 Jahren kreative Freiräume geschaffen werden, um ihnen kulturelle Teilhabe und Chancengerechtigkeit zu ermöglichen.

Jessica Schnelle, ihre Aufmerksamkeit gilt den jungen Kindern. Was zeichnet diese Altersgruppe aus?
Jessica Schnelle: Die frühesten Jahre eines Menschen sind für seine Persönlichkeitsentwicklung enorm wichtig. Das bestätigen seit Jahren auch zahlreiche wissenschaftliche Studien. Junge Kinder bringen mit ihrer Neugier viel Potenzial mit, um lustvoll mit herausfordernden Situationen umzugehen und sich dabei selbst wirksam zu erleben. Deshalb ist es wichtig, schon den kleinsten Kindern ästhetische Erfahrungen zu ermöglichen und sie in ihrer Neugier als Erwachsene zu begleiten – statt sie anzuleiten.
 
Warum brauchen auch die kleinsten Kinder kulturelle Teilhabe, was ist damit gemeint?
Mit frühkindlicher, kultureller Teilhabe meinen wir, kleine Kinder in ihren Bedürfnissen ernst zu nehmen und ihnen Inspiration anstelle von Animation zu bieten. Wenn dafür kulturell bedeutsame Orte aufgesucht werden, sind kontinuierliche Formate wesentlich für die Beziehungsqualität. Ästhetische Bildung und kulturelle Teilhabe fördern die Selbstwirksamkeit. Sich selbst als forschend und mit der Umwelt agierend als gestaltend zu erleben, stärkt die Persönlichkeit und schafft Chancengerechtigkeit.
 
Was heisst das für die Eltern, die Erwachsenen: Braucht es einen anderen Umgang mit den kleinsten Kindern?
Jessica Schnelle: «Helfen macht hilflos», brachte es Prof. Dr. Daniela Braun, Expertin in Lehre und Forschung für Kindheit und Kreativität, Hochschule Koblenz/D, an der Lapurla Tagung im Mai 2021 auf den Punkt. Das meint: Damit Kinder kreative Lösungen finden können, dürfen wir ihnen nicht einseitig helfen, sondern müssen ihnen quasi Herausforderungen bereiten und sie darin mit Fragen und Aufmerksamkeit begleiten. Der Neurobiologe Gerald Hüther warnte davor, kleine Kinder mit Belehrungen, Ratschlägen und Bewertungen einzudecken. Stattdessen sollen sie eingeladen, ermutigt und inspiriert werden, immer wieder auszuprobieren. Das wiederum fordert auch die Erwachsenen, sich immer wieder als Lernende zu begreifen. Denn auch sie selber können von Kindern lernen.
 
Von 2018 bis 2021 hat die nationale Initiative Lapurla dieses frühkindliche Förderfeld intensiv ausgelotet. Was hat diese Basisarbeit gezeigt?
Jessica Schnelle: Wir haben in allen Sprachregionen der Schweiz 22 Modellprojekten initiiert und vielfältigste Erfahrungen sammeln können. Die Projekte wurden dokumentiert, evaluiert und ambitioniert weitergedacht. Das Ergebnis: Schon die jüngsten Kinder können mit ästhetischen Erlebnissen in ihrer Kreativität gestärkt und damit auch in ihrer Selbstwirksamkeit und Entscheidungsfähigkeit gefördert werden. Deshalb entschlossen wir uns, für diese Kultur der frühen Kindheit in der Schweiz ein nationales Netzwerk zu gründen. Es soll eine breite Lobbyarbeit ermöglichen, die auch politisch wirksam wird. Nur so kann ästhetische Bildung und kulturelle Teilhabe für Kinder von 0-4 Jahren umfassend implementiert, mit Fördergeldern unterstützt und auf allen Ebenen weiterentwickelt werden kann.
 
Was sind die nächsten Schritte?
Vernetzung und Austausch sind unabdingbar, um diese community zu stärken und sie als starke Stimme zu verankern. Im November 2021 und um Frühling 2022 finden zwei weitere Netzwerk-Anlässe statt. Wir wollen wirksame Schnittstellen von Kultur, Bildung, Soziales, Soziokultur und Gesundheitsförderung schaffen und uns gemeinsam für eine Kultur der frühen Kindheit einsetzen.