Das Arc ist die Künstlerresidenz des Migros-Kulturprozent. Es liegt im Dorf Romainmôtier am Fuss des Juras und ist ein Ort der Forschung und des transversalen Austauschs, ein Haus, der zur interdisziplinären Reflexion einlädt.
Die mittelalterlichen Mauern des Arc sind geschichtsträchtig. Früher beherbergten sie die Pilger der Abteikirche von Romainmôtier. Später, während der Reformation, diente das Haus als Gerichtshof und anschliessend bis 1980 als Bauernhof. Das Arc ist seit 1994 eine Residenz für Kunstschaffende. Aber erst seit Sally De Kunst im Herbst 2014 die Zügel in die Hand genommen hat, hat sich das Haus für Kunstschaffende aller Disziplinen geöffnet.
Sally De Kunst, was hat das Arc in Ihnen ausgelöst, als Sie es das erste Mal besuchten?
Es ist ein wunderbares Haus, ein schön renoviertes mittelalterliches Gebäude, das in einem malerischen Dorf mitten im Grünen liegt – ein Postkartenbild. Gleichzeitig fragt man sich, wie weit man hier etwas machen darf, ohne dieses kostbare Erbe zu zerstören. Ich wünsche mir, dass unsere Gäste das Haus benutzen und beleben. Die Kunstschaffenden und die Gruppen müssen es sich alle auf ihre persönliche Art zu eigen machen.
Wie läuft diese Aneignung im Alltag ab?
Anfang 2015 habe ich sieben Kunstschaffende aus unterschiedlichen Bereichen für eine thematische Woche eingeladen. Wir haben gemeinsam darüber nachgedacht, welche Bedeutung einer künstlerischen Residenz in einer ländlichen Umgebung in der Schweiz im Hinblick auf künstlerische, wirtschaftliche, politische, zeitliche und räumliche Fragen zukommt. So entstand die Idee, modulare Holzelemente zu schaffen, die zu Tischen, Gestellen oder sogar Mauern zusammengesetzt werden können. Diese flexible Möblierung erlaubt es den Gästen, ihren Arbeitsraum entsprechend ihren Bedürfnissen einzurichten. Jeden Monat ändert das Haus sein Gesicht mit den verschiedenen Personen, die es beleben. Das ist sehr schön.
Was macht die Einzigartigkeit des Arc aus?
Das Arc ist eine interdisziplinäre und transversale Residenz. Für uns ist es wichtig, Kooperationen zwischen den Kunstschaffenden der verschiedenen Disziplinen zu schaffen, aber auch zwischen Kunstschaffenden und Experten aus anderen Gebieten. Wir bieten zum Beispiel einmonatige massgeschneiderte – «custom-made» – Residenzen an. Die Kunstschaffenden haben alle ihre eigene, persönliche Art, zu arbeiten, und eigene Fragestellungen. Unser Angebot besteht darin, sie in der Anfangsphase eines Projekts und bei ihren Forschungsarbeiten aktiv zu begleiten. Wir sind weder eine Galerie noch ein Proberaum, sondern wir bieten professionellen Rat und praktische Unterstützung und vermitteln Kontakte. So hatten wir kürzlich eine Künstlerin zu Gast, die rund um invasive Pflanzen forscht. Sie konnte unter anderem einen auf diesem Gebiet spezialisierten Biologen aus Bern und den Förster von Romainmôtier kennenlernen. Ein anderer Künstler befasste sich mit dem Empfangs- und Verfahrenszentrum für Asylsuchende in Vallorbe. Er wurde von Forschern des Instituts für Migration der Universität Neuenburg und vom ehemaligen technischen Direktor
von Ilford begleitet, der ihm dabei geholfen hat, die Negative seiner Camera obscura zu entwickeln. Die meisten Experten freuen sich, wenn sich jemand für ihre Arbeit interessiert. Der Austausch mit den Kunstschaffenden eröffnet ihnen einen neuen Blick auf ihr Fachgebiet.
Wer sind die Gäste des Arc?
Wir sind sehr offen für die verschiedenen Fachbereiche und empfangen neue und erfahrene Kunstschaffende aus der Schweiz und aus dem Ausland mit den verschiedensten Werdegängen.
Welche Aktivitäten finden am Arc parallel zu den Residenzen statt?
Wir organisieren jedes Jahr ein grosses Frühlingsfest: einen Tag der offenen Tür, wo alle willkommen sind. Während dieser Veranstaltung wird das Haus vom Keller bis zum Estrich von rund fünfzehn Kunstschaffenden und Kunstkollektiven eingenommen, die im vergangenen Jahr in Residenz waren und ihre Arbeit zeigen. Zusammen mit dem Kunstraum Espace dAM in Romainmôtier organisieren wir auch jedes Jahr ein Wochenende mit Performances und künstlerischen Installationen an verschiedenen Orten im mittelalterlichen Kloster rund um das Arc. 2017 haben wir für dieses Projekt das Thema Migration gewählt. In Vallorbe, nicht weit von Romainmôtier, befindet sich ein Empfangs- und Verfahrenszentrum für Flüchtlinge. Aus diesem Grund ist Romainmôtier, dessen Gastfreundschaft Tradition hat, der ideale Ort, um das Thema Migration aus einer künstlerischen Schaffensperspektive zu betrachten. Bei anderen Gelegenheiten organisieren wir gemeinsame Mahlzeiten oder Besuche der Ateliers, um die laufenden Projekte zu präsentieren. Wir möchten damit zeigen, dass das Haus für alle offen ist.
Ist das Arc hauptsächlich für ein lokales Publikum gedacht oder soll es die ganze Schweiz erreichen?
Die Reise nach Romainmôtier ist für viele Leute sehr lang. Aber Hedy Graber, die Leiterin der Direktion Kultur und Soziales des Migros-Genossenschafts-Bundes, hat etwas sehr Wichtiges gesagt: «Arc is everywhere!» Unser Logo ist ein Pylon der anzeigt: Hier geschieht etwas! Gleichzeitig drückt er die Idee von «work in progress» – laufender Arbeit – aus. Man könnte auch sagen: «Arc is here!» Viele Projekte, die im Arc entwickelt wurden, werden anderswo gezeigt, bei anderen wiederum ist das Arc Koproduzent. Das Arc liegt vielleicht in Romainmôtier, aber wir sind mit der ganzen Welt vernetzt – und machen uns mit dem Pylon unter dem Arm auf den Weg!
Welche Zeichen möchten Sie als Leiterin des Arc setzen?
Ich möchte eine gute Gastgeberin sein. Gestern Abend, als die neuen Bewohner angekommen sind, habe ich sie abgeholt und anschliessend für sie gekocht. Ich möchte, dass sie sich hier wohlfühlen. Denn wer sich wohlfühlt, arbeitet gut. Auch die Gastfreundschaft gegenüber den Dorfbewohnern und den Besuchern ist mir wichtig. Sie muss sowohl als Konzept wie auch aus dem Blickwinkel meiner Arbeit als Kuratorin betrachtet werden.
In welchem Sinne?
Mit dem Arc bietet das Migros-Kulturprozent einen Rahmen, der uns erlaubt, über die Rolle von Institutionen nachzudenken. Im Arc können die Kunstschaffenden und Experten gemeinsam ein mehrstimmiges Kollektiv schaffen. Die Begegnungen zwischen Personen, die sich am Rand ihres Kunst-, Fach- oder Interessengebiets entwickeln, führen zu Momenten des Austauschs. Es wird experimentiert, und frische, noch fragile Ideen werden diskutiert. Das Arc interessiert sich für innovative Ansätze und Entwicklungen, die den künstlerischen Prozess begünstigen und ein Programm bieten, in dem sich die Gesellschaft wiedererkennt.
Sally De Kunst (Belgien, 1974) leitet die Künstlerresidenz Arc seit September 2014. Von 2007 bis 2013 leitete sie das Belluard Bollwerk International, ein Kunstfestival in Freiburg (CH). Sally De Kunst hat mehrere Projekte an der Schnittstelle verschiedener Disziplinen organisiert und damit zu Reflektion und vernetztem Denken angeregt.